Andreas Oligschläger (Logopäde)

In ihrem Buch „Die Verschiedenheit der Köpfe“ beschreibt Enid Heynel mit den Worten der
Liebe, wie sie nur eine Mutter empfinden kann, den Weg ihres Sohnes Malik, der sich so
gar nicht in die Systeme von Erziehung und Bildung unserer Gesellschaft und ihrer festen
Strukturen pressen lassen will.
Es ist nicht nur die Geschichte eines Jungen, der sich abmüht den Herausforderungen von
Kindergarten, Schule und Gesellschaft gerecht zu werden und dabei immer wieder das
eigene und überwunden geglaubte Scheitern erleben muss.
Es ist auch die Geschichte von Beratern, Therapeuten und Pädagogen, die sich als
Fachleute wähnen, aber nur wähnen und die Geschichte eines Bildungssystems, das auf
individuelle Bedürfnisse und Engagement dem Einzelnen gegenüber schlicht nicht
vorbereitet ist.
Bereits auf den ersten Seiten lernt der Leser einen kleinen Jungen kennen, der mit sich
und der Welt, die ihn umgibt, im Ungleichgewicht lebt. Einen Jungen der anders zu sein
scheint als die anderen Kinder. Der andere Bedürfnisse hat aber auch andere Fähigkeiten,
Begabungen und Interessen. Er lernt aber auch Eltern kennen, die in liebevoller
Zuwendung versuchen, das Beste für ihren Sohn zu tun, ihn verstehen und fördern lernen
wollen. Aber eines wollen sie sicher nicht: Die Situation hinnehmen und die Zukunft ihres
Sohnes aufgeben.
Lesen Sie von einer Suche der Eltern. Einer Suche, die einer Odyssee gleicht. Eine Suche
nach dem, was sie tun können, um ihrem Kind trotz all seiner Eigenarten, den
unerwarteten Reaktionen und seiner ausgeprägten und weitgefächerten Interessen zu
unterstützen und ihm einen Weg durch unser rigides und von Vorurteilen geprägtes
Erziehungs- und Bildungssystem zu bahnen.
Ob in therapeutischen Praxen, im Kindergarten, bei Ärzten und Beratungseinrichtungen,
erst recht nicht in den Schulen scheint man der Komplexität, die dieser Junge zeigt,
gerecht werden zu können, oder zu wollen.
Erst die Diagnose Legasthenie lässt die Eltern hoffen und eine bessere Zukunft erahnen.
Doch ist die Welt des Bildungssystems auf diese Diagnose vorbereitet?
„Die Verschiedenheit der Köpfe“ erhebt sicherlich nicht den Anspruch ein therapeutisches
Fachbuch zu sein, das s.g. Störungen und deren Therapiemöglichkeiten beschreibt. Dabei
ist es viel mehr als das.
Enid Heynel öffnet den Vorhang und zeigt uns die Wahrheit, die hinter der Diagnose
Legasthenie steckt. Unverblümt und in all ihrer Konsequenz. Es ist eine Wahrheit die
Augen öffnet für den unendlich scheinenden Weg, den Betroffene und Eltern zu gehen
haben und für die Ratlosigkeit, der sie auf auf diesem Weg begegnen und die sie selbst so
oft überkommt.
Aber es ist auch ein Buch das Mut macht. Mut für die, die die Nöte und Sorgen ihrer
legasthenen Kinder begreifen und denen sie gerecht werden wollen.
Ich selbst arbeite als Logopäde oft mit Kindern, die diese Diagnose eröffnet bekommen
haben und die nun ihren individuellen Weg gehen wollen. Auch ich berate Eltern auf
diesem Weg. Leider ist unsere therapeutische Arbeit nur zu oft geprägt von der fachlichen
und vermeintlich richtigen Sicht der Dinge. Das Erleben kennen zu lernen, das hinter der
Therapie steckt, das kennen zu lernen, was Betroffene und ihre Eltern täglich und über
lange Jahre hinweg an Erfahrung und Endtäuschung sammeln, eben das macht dieses
Buch dann doch zu einem Fachbuch.
Ich empfehle „Die Verschiedenheit der Köpfe“ all denen, die sich erstmals mit dem Thema
Legasthenie auseinander setzen ebenso, wie denjenigen Lesern, die als Berater
Pädagogen oder Therapeuten mit legasthenen Kindern und ihren Familien arbeiten.
Einen Weg aufzeigen zu können bedeutet, für mich als Therapeuten, den Weg zu kennen
und das wiederum erfordert, den verstehen zu wollen, der ihn gehen soll. Und genau hier
setzt das Buch an.